Wer sich vom bayerischen Wirtschaftsminister Einlassungen zur bayerischen Wirtschaft verspricht, sollte die Stoa verinnerlich haben, bevor er sich an das Twitterprofil von Hubert Aiwanger herantraut. Tweets gibt’s dort zwar im Stakkato, allerdings höchst selten zu seinem Arbeitsgebiet, der bayerischen Wirtschaftspolitik.
Aiwanger spitzt zu, gelegentlich schießt er über das Ziel hinaus oder verkauft den Menschen Seemannsgarn als gesunden Menschenverstand. Indem er nun eine hessische (!) Kita den digitalen Wölfen zum Fraß vorgeworfen hat, ohne Mitgefühl für das Personal, die Eltern und die Kinder, hat er nicht nur eine Grenze überschritten, sondern er erweist auch der bayerischen Wirtschaft einen Bärendienst. Energie und Fachkräfte: Das sind die beiden Hauptsorgen der Unternehmen. Zuwanderung ist nicht nur in den Großraum München aufgrund der angespannten Wohnungslage schwierig. Eine funktionierende Kinderbetreuung ist der mit Abstand größte Hebel, für Fachkräfte zu sorgen. Fallen zwei Erzieherinnen aus, können auch 20 andere nicht arbeiten, zumeist Frauen.
Statt sich dafür einzusetzen, im Schulterschluss von Wirtschaft, Eltern und Personal die Bedingungen in der frühkindlichen Bildung zu verbessern, signalisiert Aiwanger den Beschäftigten, dass er sie nach Belieben für Stimmungsmache missbrauchen wird, wenn es ihm politisch in den Kram passt. Damit degradiert er sie zur Verfügungsmasse seines politischen Kalküls. Dabei wäre gerade ein Schulterschluss so wichtig. Die Haushaltslage trübt sich ein. Und wenn Fachkräfte überall knapp sind, wird das Buhlen der Branchen und Gewerke um die Gunst der Politik zunehmen. Es wird einiges an Überzeugungskraft brauchen, trotz dieser doppelten Knappheit erfolgreich für den skandinavischen Weg zu kämpfen: Kleinere Gruppen, weniger Bürokratie, mehr Geld. Nur wenn alle Akteure mithelfen, kann es gelingen, eine Mehrheit davon zu überzeugen, dass mehr Geld für die Kinderbetreuung letztlich allen Branchen zugutekommt und damit – im wahrsten Sinne des Wortes – gewinnbringend ist.
Die Kita gibt selbst zu, dass das Schreiben unglücklich formuliert war. So etwas kann passieren. Aus gutem Grund kennen wir alle die Hintergründe nicht. Man stelle sich mal für einen Moment vor, wie man selbst reagieren würde, wenn man die Verantwortung für ein Kind hätte, dessen Eltern sich gerade getrennt haben oder wo ein Elternteil gestorben ist. Und das darunter leidet. Schriebe man so etwas allen Ernstes den anderen Eltern? Oder verkleidet man die Sorge auf dem Papier besser in allgemeine Worte und wirbt stattdessen im persönlichen Gespräch um Verständnis? Zu glauben, ausgerechnet eine katholische Kita wolle den Muttertag abschaffen, ist nun wirklich absurd. Der von Aiwanger sonst gerne in Anspruch genommene gesunde Menschenverstand hätte hier geholfen. Statt mit wohl überlegtem, machtpolitischem Kalkül rücksichtslos die eigene Kurve zu bedienen, hätte man es auch mit Empathie versuchen können.